Montag, Mai 12, 2008

Flitz, Forest, flitz!

Meist sind es Momente, in denen das Spiel völlig langweilig dahinplätschert. Keine Aussicht mehr auf Spannung, wahlweise reifen Gedanken an kühles Bier in knallender Sommersonne oder heißen Tee in verwehtem Schneeregen. Und plötzlich sind alle wieder wach, es ist Leben in der Hütte - denn ein Flitzer hat sich zum Ordner-Slalom auf dem Rasen eingefunden.

Gestern war wieder so ein Tag: Der FC Sankt Pauli liegt im bedeutungslosen Gipfeltreffen um Platz sieben 0:2 gegen Alemania Aachen zurück. Das Führen von Zweikämpfen mit Körperkontakt haben beide Mannschaften längst eingestellt, die Strafräume sind tabu, anscheinend hat der Platzwart in der Halbzeit schonmal frischen Rasen vor den Toren ausgesät, der nun geschont werden soll. Kurzum: Ein Grottenkick, einzig ansehnliches Element ist die Schiedsrichterin, die übrigens komplett ohne Karte auskommt.

Und dann rennt er. Wahrscheinlich von der Südkurve aus hat sich ein Fan - etablierte Medien werden später von einem "vermeintlichen Fan" schreiben, so als könnten sie in seinen Kopf sehen und seinen Charakter bei zehn Bier weniger mit diesen zwei Worten auch gleich mitbeschreiben - auf den Weg über den Platz gemacht. Mit jedem Meter, den er dem Mittelkreis näher kommt, nimmt die Aufmerksamkeit des Publikums zu. Erst als sich die Aktion auch bis auf die hinterste Stadiontoilette rumgesprochen haben dürfte, werden die Ordner wach und wackeln dem Mann mit ihren aufgepumpten Körpern unbedarft hinterher. Die Menge ringsum hat richtig Spaß und wäre nicht Aachens Herzig mit einem technisch etwas unsauberen Body-Check zum Spielverderber avanciert, wäre das Rennen wohl immer noch nicht beendet. Danach plätscherte der Sommerkick ereignislos weiter, einzig Herzigs folgende Ballkontakte gaben dem Kick eine Prise Würze.

Unterm Strich lässt sich festhalten: Der Flitzer hat niemandem wehgetan, die Sicherheitslücken im Ordnersystem anschaulich dargelegt und nebenbei noch das Publikum erheitert. Trotzdem droht dem Mann jetzt ein Stadionverbot, dem Verein eine Geldstrafe. Auch wenn diese Handhabung inzwischen quasi manifestiert ist, wirft die Geschichte die Frage nach dem warum auf.

Flitzer gehören zum Fußball seitdem es Stadien gibt. Sie sorgen für Gesprächsstoff in den Kurven und an den Stammtischen und der Schaden, den sie anrichten beschränkt sich meist auf zwei Minuten Nachspielzeit. Dass Zuschauer, die Spieler oder Schiedsrichter tätlich angreifen, hart bestraft werden müssen, steht außer Frage. Aber wenn friedliche Flitzer ebenso mit Stadionverboten belegt werden, kann gar keine Verhältnismäßigkeit mehr gewahrt werden. Niemand wird jetzt für eine Generalamnestie für die lustigen Renner plädieren, schließlich setzen sie sich über die Stadionordnung hinweg und stören das Spiel. Dennoch sollten Liga und Vereine hier nicht das Augenmaß verlieren und die Selbstdarsteller zwar spürbar aber trotzdem nicht drakonisch abstrafen. Sie könnten beispielsweise dazu verdonnert werden, einmal die komplette Kurve zu fegen oder das Vereinsemblem frisch zu streichen. Finden lässt sich da immer was.

Alternativ böte sich zur Bestrafung auch eine Vollzeit-Video-Analyse des gestrigen Spiels an. Auch wenn das vielleicht schon wieder etwas zu drakonisch ist.

3 Kommentare:

jensen hat gesagt…

Der ganze Text: Hervorragend! Der letzte Absatz: pures Gold! Den solltest du ernsthaft mal irgendwo anbieten, hier bei den Sofa-Experten gibt es ja leider nicht so fette Honorare.

Anonym hat gesagt…

Also der Text ist hervorragend, da kann ich mich meinem Vorredner nur anschließen. Aber ich erwarte hier auch nichts anderes!

Zum Inhalt: Tja, Stadionverbote sind das einzige Mittel, das bleibt, wenn man auf eine massive Störung des Spiels reagieren will. Für die profitorientierten Verwerter des Profisports ist es dann egal, ob jemand prügelt, zündelt oder mit dem Hintern wackelt. Es stört den vorgesehenen Ablauf. Es ist unverhältnismäßig, du hast Recht. Aber was bleibt sonst?

Dr. Selzsam hat gesagt…

Huihuihui, danke.
Zum Inhalt: Ich glaube nichtmal, dass das so extrem viele Leute stört. Ok, das wiederum kommt auch auf die Spielsituation an. Bei 1:2 gegen das Heimteam fünf Minuten vor Schluss eines wichtigen Spiels reagieren ja auch die eigenen Fans längst nicht so Flitzer freundlich. Aber das kann man natürlich nicht bei der Bestrafung berücksichtigen... Aber in so einem langweiligen Spiel findet doch auch der TV-Fan das eher lustig und somit ist den Sport-Verwertern ja gar nicht geschadet.